Marcos Tagebuch

Das ist ein Ausschnitt aus Marcos Tagebuch von den ersten Paddeltagen in der Glacier Bay.

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Mo + Di, 19/20.

Wir kämpfen immer noch mit der Zeitverschiebung. Spätestens um 5 oder 6 Uhr sind wir putzmunter. Am Nachmittag im Supermarkt in Juneau bin ich todmüde. Ich halte mich am Einkaufswagen fest und versuche mich zu konzentrieren. Tina lädt alles ein, was wir brauchen und noch etwas mehr. Wir werden uns mit den Mengen nicht einig. So kommt Tina nach umfangreichen Berechnungen, die sie zu Hause schon angestellt hatte, auf 13,5kg Mehl. Sie rechnet mir irgendwas vor von Löffel und Bannocks und ich stelle mir die 27 Laib Brot vor, die ein Bäcker daraus macht

Mittwoch, 21.6.

Nach zähen Verhandlungen und 2 Einkaufstagen steht das Ergebnis auf dem Tisch beim Zeltplatz. 53 kg Proviant mit einem Volumen, das für uns nicht handhabbar ist.










Tina hat ein Einsehen und kürzt das Essen so, dass es in zwei mittelgroße Kartons passt (ohne Taschenrechner). Damit fahren wir nun endlich zum Flughafen und fliegen nach Gustavus.

Bartlet Cove Camp
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Taxidriver John fährt uns mit seinem Van zum Campingplatz bei Bartlett Cove. Schon am ersten Abend sehen wir Wale vom Ufer aus. Sie kommen sogar ziemlich dicht zu uns her. Es ist großartig. Wir hören sie laut blasen. Dieses Blasen, die große Fontaine und diese langsamen, kräftigen Bewegungen, zum ersten mal erlebe ich so richtig die ganze Größe der Tiere.

Auf dem Campground lernen wir Sadwick und Sho kennen. Sho, ein Fotograf aus Japan, paddelt schon seit 4 Wochen in der Bay. Sadwick ist Franzose, er ist in 3 Tagen von Juneau hierher gepaddelt und startet morgen zu einer 3-wöchigen Glacier Bay Tour. Er will dann weiter nach Seattle paddeln.

Donnerstag, 22.6.

Ich setze zum ersten mal mein Boot ins Salzwasser und paddel rüber nach Lester Island und dann weiter ins offene Wasser. Wale sind zur Zeit nicht zu sehen. Auf dem Rückweg kämpfe ich gegen Wind und Gezeitenströmung.

Am Nachmittag entdeckt Tina einen Baumstachler auf einem frei stehenden Baum, ziemlich dicht an unserem Kochplatz. Tina macht schöne Bilder während ich mit der Küche beschäftigt bin. Wir sind hier im Bärenland und die Küche darf unter keinen Umständen unbeaufsichtigt bleiben.

Gegen Abend zeigt sich die Sonne und lässt herrliche Stimmungen entstehen. Kurz vor dem Dunkelwerden paddelt Tina dann auch noch. Ich bleibe am Strand, genieße die Stimmung und beobachte die dunkle Silhouette von Tina und ihrem Boot auf dem von der Abendsonne vergoldeten Wasser

Freitag, 23.6.

Heute unternehmen wir eine gemeinsame Paddeltour. Wir paddeln rüber nach Lester Island. Es fängt an zu regnen, was mich aber überhaupt nicht stört, auch als der Regen noch heftiger wird. Die Handstulpen an den Paddeln bewähren sich bestens. Am Ufer von Lester Island sehen wir eine Elchmutter mit ihrem Jungen. Etwas weiter um die Westspitze herum sehen wir einen großen Schwarzbären, der am Strand nach Essbarem sucht. Der Regen hat wieder aufgehört. So können wir vom Boot aus den Bären bequem und gefahrlos eine ganze Weile beobachten. Als wir den Rückzug antreten, sehe ich Wale heranziehen.

Tina hält auf unser Zelt zu und ich paddle einen großen Bogen, um in der Nähe zu sein wenn die Wale vorbeiziehen. Nur einer kommt und der hält nun genau auf mich zu. Ich weiß jetzt nicht mehr so recht, in welche Richtung ich paddeln soll. Ich paddle einfach weiter, sonst bemerkt er mich vielleicht nicht. Als er ca. 50 m vor mir mit lautem Blasen auftaucht, bekomme ich doch einen ordentlichen Schreck. Zuvor ist mir aufgefallen, dass er immer zwei mal kurz hintereinander auftaucht und so bin ich gefasst, als er gleich nochmal bläst. Meine Aufregung hält noch lange an und auf dem Weiterweg Richtung Tina sehe ich ihn noch einige Male.

Samstag, 24.6.

Wir treffen ein paar Vorbereitungen, damit wir morgen in die Glacier Bay können. Ich möchte rein paddeln und Tina möchte lieber mit dem Tourboot reinfahren und sich an einem der drei Drop Off Points absetzen lassen. Wie ich die Lage einschätze will Tina am liebsten gar nicht weg von hier. Sie hat wieder ziemlich Angst vor den Bären.

Aber auch hier gibt es einiges zu sehen. Wir paddeln nochmal raus und beobachten Wale. Wieder bei Lester Island können wir Wale im Boot sitzend aus nächster Nähe beobachten. Erst bin ich noch alleine als ein Wal in meiner Nähe anfängt herumzualbern. Er dreht sich und winkt immer wieder mit seiner riesigen Seitenflosse. Etwas später beobachten Tina und ich ein Wal, der mehrmals verblüffend nahe bei uns vorbei zieht, ganz langsam und laut blasend. Dabei sind wir ziehmlich dicht am Ufer und brauchen keine Angst vor einer Kollision zu haben.

Blasloch eines Wals
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Sonntag, 25.6.

Heute kommen wir noch nicht weg. Aber morgen soll es entgültig losgehen. Ich gebe nach und bin bereit die 80$ für das Tourboot zu zahlen. Wir paddeln wieder rüber nach Lester Island, da sind nämlich wieder Wale unterwegs. Wir beobachten, dass einer vor dem Ufer von Lester Island hin- und herzieht. Immer ein, zwei Minuten unter Wasser und dann taucht er zwei oder drei mal hintereinander auf. Bei der Querung seiner Bahn versuchen wir einen günstigen Moment abzupassen. Als wir durchstarten um das sichere Ufer zu erreichen, taucht der Wal unerwartet ca. 20m vor uns auf.

Erst bekommen wir einen riesen Schreck, aber ich weiss ja dass er gleich ein zweites mal wieder auftauchen wird und kann ein Bild machen. Wir beobachten den Wal eine Weile und paddeln wieder zurück. Am Abend schreiben wir noch einige Postkarten.

Montag, 26.6.

Um 5:00 Uhr stehen wir auf und bringen die Faltboote und all unser Gepäck zum Tourboot “Spirit Of Adventure”. Um 7:00 Uhr legen wir ab. Das Boot fährt die Vogelinsel South Marble Island an. Unweit der Insel tummeln sich zwei Buckelwale. Als einer der Wale springt bin ich gerade auf der falschen Seite des Bootes. Schade, ich sehe nur noch das Wasser zurückfallen. Am zweiten Drop Off Point steigen wir zusammen mit vier anderen aus. Wir wollen zusammen mit Roland und Andrea einen Schlafplatz ansteuern. Die beiden haben nur 3 Tage Zeit und paddeln schon los währen wir noch unsere Boote kunstvoll bepacken. Die beiden sind so schnell, dass wir nicht hinterherkomen.

Stattdessen finden wir nach 4 Stunden paddeln eine 8-köpfige Paddlergruppe am Reid Inlet. Der Reid-Gletscher ist ein schöner, recht aktiver Gletscher mit tiefblauem Eis an den Abbruchwänden. Mir hat das Paddeln hierher mit dem vollgepackten Boot riesig Spaß gemacht. Das Wetter ist herrlich und ich fühle mich als könnte ich mit dem Boot um die Welt paddeln. Leider geht es Tina anders. Sie denkt ständig an die nächste Nacht und dass Bären kommen könnten. Endlich weg von der Strasse, wie wir uns das bei der Radtour durch Alaska im letzten Jahr gewünscht haben, fühlt sie sich nun völlig unsicher.

Dienstag, 27.6.

Die Gruppe lässt ihre Zelte stehen, wir lassen unser Zelt auch stehen. Wir paddeln mit leichtem Gepäck ca. 8 km zum Lamplugh Glacier. Der Himmel ist heute wieder blau. In einer Felsnische neben dem Gletscher können wir gut landen und machen eine Pause. Den Gletcher können wir zwar nicht sehen, aber hören ständig das Donnern, wenn Eis abbricht. Kurz bevor wir wieder starten, donnert es besonders mächtig. Tina steigt zuerst ein und paddelt los. Als ich gerade meine Beine in die Sitzluke einfädeln will, ist plötzlich das Wasser weg, mein Boot sitzt auf der trockenen Kiesbank. Ich überlege noch wer mir hier das Wasser ablässt, als eine große Welle um den Fels herum kommt, mich anhebt und auf die Kiesbank mit hoch nimmt. Erst jetzt wird mir klar was hier los ist. Ein großer Eisabbruch hat mächtige Wellen erzeugt. Die Welle, die mich auf die Kiesbank gespült hat will mich wieder zurück tragen aber das Boot sitzt auf und kippt. Ein Weile lang versuche ich, mich mit dem Arm aufzurichten, aber der Sog ins Meer hört nicht auf. Als ich die nächste große Welle kommen sehe, steige ich schnell aus und ziehe das teilweise vollgeschlagene Boot die Kiesbank hoch. Mein Paddel treibt zu Tina. Ich ziehe mir was Trockenes an. Bis dahin hat sich das Wasser beruhigt und der zweite Startversuch gelingt.

Das war eine Lektion für uns beide. Solche Wellen können leicht ungesicherte Boote vom Strand wegholen. Wären die Wellen etwas früher gekommen, hätten wir unsere Boote auf dem Meer treiben sehen und zu Fuß kommt man hier nur bis zum nächsten Gletscher.

Mittwoch, 28.6.

Das Wetter ist immer noch so schön. Wir laufen zur Zunge des Reid Gletschers. Die Gruppe ist aber inzwischen weitergepaddelt. Auf dem Weg zum Gletscher hat Tina Bärenspuren entdeckt. Etwas weiter auf dem Weg laufen wir an einem Seehundkadaver vorbei. Wir sehen uns dann den Gletscher genauer an und wandern nach einer Pause wieder zurück zum Zelt.

Donnerstag, 29.6.

Schon früh werde ich von Tina geweckt. Sie hat ein schwarzes Tier gesehen, vielleicht einen Wolf. Da ein Wolf nur selten schwarz ist, wird es wohl ein Bär sein, denke ich. Das Fernglas bringt Gewissheit. Ein schöner großer schwarzer Wolf, mit bernsteinfarbenen Augen. Er liegt zwischen Büschen und verspeist genüsslich eine Möwe. Er kommt dann noch näher bis an den Bach, wo wir immer unser Süßwasser holen. Er sieht uns, bleibt aber gelassen und läuft am Wasser entlang. Ich kann ein paar Bilder von ihm machen. Am Strand dreht er immer wieder sehr geschickt größere Steine um. Wir sehen ihm noch lange nach und bewundern seinen leichten Gang. Er stößt dann auf den Seehundkadaver, an dem wir gestern vorbeikamen, wo er sich noch lange aufhält.

Ein Wolf
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Wir beschließen auch diesen Tag noch hier zu verbringen. Tina fühlt sich einigermaßen sicher, weil wir noch keinen Bären gesehen haben und mir ist es recht, wenn wir noch nicht so bald nach Bartlett Cove zurückfahren. Mit Stativ und den beiden Teleobjektiven laufen wir um die Halbinsel und fotografieren die bunten Blumen (Paintbrusch) und verschiedene Vögel wie Harlequin Ducks, Küstenseeschwalben, Austernfischer

Küstenseeschwalbe
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Blumenkind Tina
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Mittwoch, 6.7.

Wir wollen heute bis in das Johns Hopkins Inlet paddeln und dort zelten. Auf halbem Weg kommen wir am Lamplugh Glacier vorbei. Als wir um den letzten Felsen herumfahren und der Gletscher sichtbar wird, fegt uns ein eiskalter, stürmischer Wind ins Gesicht, der das Wasser kräftig aufwühlt. Dazu kommt immer wieder ein mächtiges Donnern vom aktiven Gletscher herüber. Ein paar mal können wir beobachten wie große Eisteile ins Meer stürzen. Vor dem Gletscher und auch weiter hinten Richtung Johns Hopkins treiben viele Eisbrocken. In diesem Szenario (Wind, Wellen, Eisberge, Donnern …) bekommt es Tina mit der Angst und dreht einfach um. Nach etwas Eingewöhnungszeit paddeln wir aber dann doch weiter Richtung Johns Hopkins und das Weiterfahren hat sich gelohnt. Das Johns Hopkins Inlet ist ein tief eingeschnittener Fjord mit steilen gewaltigen Felsflanken. An einigen Stellen zwängen sich kleinere Gletscher durch steile Rinnen herunter. Im Talschluss, noch 8 km von uns entfernt, der gigantische Johns Hopkins Glacier und dahinter Berge wie der Mount Fairweather, die bis auf 4500 m aufragen – zur Errinnerung: Wir paddeln hier auf Meereshöhe. Selten habe ich mich so winzig gefühlt.

Der Zeltplatz, den wir uns auf der Karte ausgesucht haben, ist gar keiner, doch weiter hinten, kurz vor dem Gletscher soll ein guter Platz sein, so wurde uns das von anderen Paddlern berichtet. Von Jim und David nämlich. Wir hatten die beiden vorhin, kurz nach dem Lamplugh Glacier getroffen. Jim's Boot stach mir gleich ins Auge. Er hat das Feathercraft Katsalano, ein ultraschlankes, langes Faltboot, das sehr an die ursprünglichen Boote der Inuit erinnert. Ich kannte das Boot nur von Bildern und berichte Jim von meiner Begeisterung für sein Boot. Jim erzählt uns dann, dass er gerade dabei ist mit diesem Boot Alaska zu umrunden. Vor einem Monat ist er in Prinz Rupert gestartet und nach 14 weiteren Monaten will er in Inuvik sein. Im Winter will er sich einen Schlitten besorgen, auf dem er das Boot hinterherziehen kann. David hat ihn bis hier in die Glacier Bay begleitet.

Vor dem Gletscher soll also ein Platz zum Zelten sein. Wir paddeln weiter Richtung Gletscher, aber ca. 2 km vor diesem Platz wird das Eis ziehmlich dicht. Für Faltboote sind diese Eisberge nicht ungefährlich, auch scheinbar kleine Brocken sind schwer und können mit ihren scharfen Kanten und Spitzen durchaus die Bootshaut verletzen. Wir beschließen deshalb umzukehren. Fast den ganzen Weg paddeln wir zurück bis zum Ptarmigen Creek. Um 21:30 Uhr steigen wir aus, nach 32 km Paddelei, und richten uns ein für die Nacht.

Freitag, 7.7.

Heute brechen wir Richtung Queen Inlet auf. Zuerst überqueren wir den Hauptarm, um die Küste von Russel Island nach Bären abzusuchen. Leider ist nichts zu sehen. Südlich von Russel Island kommen wir an zwei Vogelinseln vorbei. Viele Lummen und Harlequin Enten halten sich hier auf, aber Brutkolonien sieht man keine. Kurz vor dem Rendu Inlet kommt uns ein Wal entgegen. In der Bucht bleibt er eine Weile an der gleichen Stelle. Ca. 20 Minuten zeigt er ein bisschen was von seinem Rücken und bläst gelegentlich. Er scheint sich auf diese Weise auszuruhen. Wale können und dürfen nicht richtig schlafen, sie würden das Atmen verschlafen und ersticken. Während fast alle anderen Tiere unwillkürlich atmen, müssen Wale und vermutlich andere Meeressäuger darüber nachdenken.

Gerade als 3 Paddelboote um die Ecke in die Bucht fahren, beendet der Wal seine Pause. Er taucht einige Male und zieht dann weiter. Dabei taucht er beängstigend nahe bei einem der Paddelboote auf. Von uns aus sah es gerade so aus, als müsste der Paddler den Kopf einziehen um der Fluke auszuweichen.

Wir paddeln dann weiter an Composite Island vorbei zu einem großen Kiesstrand. In großer Entfernung, vor der Gilbert Peninsula sehen wir einen Wal einige Male springen. Es ist das erste Mal, dass wir einen Wal springen sehen, aber er war zu weit weg um wirklich zu beeindrucken. Am Kiesstrand kochen wir. Als wir später am Strand herumlaufen finden wir ein frisches Bärenhäufchen. Kein guter Platz zum Zelten, da sind wir uns einig und paddeln noch ein Stück weiter zum Pickup Point, wo uns morgen die “Spirit of Adventure” abholen soll.

Samstag, 8.7.

Gemütlicher Waschtag. Nach spätem Bannock-Frühstück wäscht Tina Klamotten und ich baue mein Boot auseinander. Am Nachmittag werden die Booten am Dock mit Süßwasser gespült. Sadwick trampt nach Gustavus und bringt uns ein paar Sachen mit. Für sich und Kevin, ein anderer Paddler hier, bringt er Krabben mit. Kevin lässt seine Krabbe vor seinem Zelt liegen, ein Ranger findet die Krabbe und überreicht Kevin ein 150$-Ticket. Tja, Essen rumliegen lassen ist im Bärenland verständlicherweise streng verboten. Am Abend sitze ich mit Sadwick, Kevin und Brian am Feuer. Tina ist im Zelt, ich höre sie irgendwas rascheln …